Ein Tag im November: Klare, reine Luft. Der Nebel des Morgens löst sich nach und nach auf. Mit Macht drängt intensiver Sonnenschein durch und lässt diesen neuen Tag erstrahlen. Ich stehe am Ufer des Sees und genieße noch für eine Weile die Ruhe der Natur, diesen Morgenmoment und die Wärme der Sonne auf meiner Haut.
Dann geht es los. Ausziehen, durchatmen. Langsam gehe ich in den eiskalten See, bis ich schließlich ganz eintauche und schwimme. Tausend Nadelstiche am Körper. Enger Brustkorb, flache Atmung. Ich lasse mich dann für einige Minuten treiben oder bleibe einfach - festen Grund unter den Füßen - stehen. Die Zeit bleibt stehen. Alles wird leise. Wieder am Ufer angekommen trockne ich mich ab, kleide mich an und verlasse den See. Mein Körper wird etwa eine Stunde brauchen, bis er sich wieder "warm" anfühlt.
Einmal in der Woche gehe ich Eisbaden. Niemals in dieser Woche fühle ich mich so lebendig wie in diesen 5 Minuten. Niemals wird es so still um mich herum und in mir wie in diesen 5 Minuten.
"Warum tust du dir das an?", "Du bist bekloppt!", "Also, ich könnte das nicht...", "Respekt.", "Denk doch mal an dein Herz... Was da passieren kann!" sind einige der typischen Reaktionen meiner Berichte zum Eisbaden.
Beim Eisbaden geht es aber nicht nur um Immunsystemtraining, um gesundheitliche Aspekte. Ich liebe das Eisbaden, weil es eine der wichtigsten Geschichten des menschlichen Lebens erzählt: Die
Geschichte der Überwindung.
Wir alle kennen den inneren Schweinehund. Wir sind zuweilen träge, faul, kommen nicht in die Gänge. Einige Menschen mehr, andere weniger. Aber so gut wie alle kennen diese Momente. Spannend
finde ich die Frage, warum wir uns dann dennoch überwinden, machen, tun, powern.
Wofür stehst du morgens auf? Wie sehen deine Leitsterne aus? Woran orientierst du dich? Ohne übergeordnete Prinzipien, Ziele, Träume sind wir nur Marionetten der Beliebigkeit des neuen
Tages.
Man muss kein Marathonläufer, kein Extrembergsteiger sein, um die Geschichte der Überwindung zu erzählen. Jede Mutter, die trotz Schlafentzugs dennoch ihr Baby stillt, das Fläschchen gibt,
liebevoll umsorgt, singt, spielt, trotz oder weil sie vor einer Stunde vor Überforderung in Tränen ausgebrochen ist, erzählt die Geschichte der Überwindung. Jeder, der trotz Angst zu einem
Bewerbungsgespräch geht und dort sein bestes gibt, erzählt die Geschichte der Überwindung. Jeder Übergewichtige, der trotz Gefühlen der Scham in ein Fitnessstudio geht, erzählt die Geschichte der
Überwindung. Jeder, der trotz Stress, Krankheit oder Tragödien in seinem Umfeld einfach "weitermacht", weiterlebt und sich nicht aufgibt, erzählt die Geschichte der Überwindung.
Wir Menschen haben aus der Kraft unserer Vorstellung Häuser, Kathedralen, Paläste gebaut. Wir haben Kunstwerke geschaffen, die einen Vorgeschmack auf die Ewigkeit geben. Wir sind Wunderwerke der
Selbstüberwindung und Meister darin, eben nicht aufzugeben. Jeder Mensch erzählt seine ganz eigene Geschichte der Überwindung.
Ab zum See.
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Mama (Sonntag, 30 Dezember 2018 09:19)
Auch das ist wieder ein Blog der zum Nachdenken anregt :-))