Klatsch! Mit präziser Sicherheit und Routine erlegt meine Frau eine Fliege im Haushalt der Siegmunds. Die Fliege betrachtet sie als potentiell krankheitsübertragenden Eindringling. An
erfolgreichen Jagdtagen des Hochsommers sind es nahezu ein Dutzend getöteter Fliegen. Wäre meine Frau in der Steinzeit geboren worden, würde sie ihre Talente wahrscheinlich auf
das Finden und Erlegen größerer, nahrhafterer Tiere ausleben können. Ihre Jagderfolge hätten wohl die ganze Sippe ernährt.
Ich betrachte sie beim Töten der Fliegen mit einer Mischung aus staunender Ehrfurcht ("Wow! Wie elegant und präzise sie die Fliegen tötet!") und innerer Ablehnung ("Oh! Die arme Fliege! Sie
hat doch auch Gefühle!"). Während ich mittlerweile ebenfalls Fliegen erlege und in die strenge Jagdausbildung meiner Frau gehe, haben wir bei der Tötung von Spinnen jedoch unversöhnlich
unterschiedliche Standpunkte: Während meine Frau nicht nur Fliegen, sondern auch Spinnen tötet, versuche ich jede Spinne zu retten.
Ja, ich rette Spinnen. Der ein oder andere wird das verstehen können, andere mit Sicherheit nicht. Das ist mir aber egal, ich empfinde starkes Mitleid für diese Wesen, die sich "versehentlich" in
unserem Haus verirrt haben. Sie können ja nicht wissen, dass sie hier unerwünscht sind. Also fange ich sie in einem umgedrehten Wasserglas, schiebe ein Blatt Papier darunter, halte diesen
fragilen Spinnenkäfig fest und eskortiere die Spinne nach draußen, in die Freiheit. "Bring die bloß weit weg!" ruft mir meine Frau auf dem Weg nach draußen noch hinterher.
Ist diese Logik richtig? Fliegen töten und Spinnen retten? Warum? Ich rede mir ein, dass Spinnen "nützlich" sind. Sie fressen bestimmt schädliche Insekten - wie etwa Fliegen. Denke ich mir. Bei
der Recherche vor wenigen Minuten habe ich allerdings entdeckt, dass sie etwa auch Käfer fressen. Größere Spinnenexemplare verspeisen gar kleine Säugetiere wie etwa Mäuse (Gott sei Dank bin
ich so einer Spinne in freier Wildbahn noch nie begegnet).
Hmm, aber Spinnen spielen im natürlichen Gleichgewicht der Arten bestimmt eine große Rolle, denke ich mir dann. Aber: Das spielen die Fliegen ja auch. Ich lehne mich desillusioniert zurück und
stelle fest: Eigentlich steht es mir überhaupt nicht zu, Tiere zu töten. Aber dann dürfest du nicht mal mehr schnell mit dem Auto von A nach B fahren, sagt meine Vernunft. Denke an die Fliegen,
die du bei jeder Fahrt an der Stoßstange mitnimmst!
Bei meiner Ernährung wird es noch widersprüchlicher. Obwohl ich Mitleid für Rinder, Schweine und Hühner empfinde, verspeise ich mit Leidenschaft und Genuss große Steaks oder Würste. Vom hohen
Eier- und Milchkonsum will ich hier gar nicht reden. Ich habe immer wieder vegetarische Phasen ausprobiert, aber ich fühle mich damit nicht gut. Meine aktuelle Ernährung besteht neben einem
hohen Gemüse-, Obst- und Getreideanteil eben auch aus Fisch und Fleisch. Aber ich esse diese Tiere bewusster als früher und achte mehr auf die Herkunft und Haltungsbedingungen. "Bio" kann
eine Orientierung sein, aber am besten ist es jedoch die Höfe und Halter selbst zu kennen. Das ist in einer Region wie der Altmark auch nicht sonderlich schwer. Oft siegt aber auch meine
Bequemlichkeit und ich kaufe bei den großen Supermärkten ein.
Dass Tiere nicht einfach nur "Speisen" als Mittel zum Zweck sind, sondern ihnen ein "Wert an sich" innewohnt, ist selbstverständlich: Ich hege eine große Bewunderung und
Ehrfurcht für Tiere. Am faszinierendsten finde ich die wilden, nicht domestizierten Tiere. Einen Falken oder Kranich vom Elbstrand aus zu beobachten, lässt zuweilen die Zeit still
stehen. Die vom Menschen gezüchteten Tiere finde ich weniger spannend: Die meisten Hunde würden in freier Wildbahn nicht überleben. Sie würden verhungern. Sie sind vollkommen abhängig vom
Menschen.
Immer wieder frage ich Kinder beim Philosophieren, ob Tiere Gefühle oder eine Seele haben. Die meisten Kinder denken, dass Tiere so wie wir Menschen oder so ähnlich fühlen. Die meisten Kinder
lehnen auch instinktiv ab, dass Tiere gequält werden und wir Menschen ihnen Leid zufügen. Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass die globale Massentierhaltung Sekunde für Sekunde
unendliches Leid über Millionen, ja Milliarden Tieren bringt. Videos dieser bestialischen Zustände bei YouTube oder anderswo sind für mich schlimmer als jeder Horrorfilm. Weil diese Zustände real
sind.
Im Umgang mit Tieren offenbart wohl auch jeder Mensch seine innere Haltung zu Lebewesen generell - gleich ob Tier, Mensch oder Pflanze. Tiere sind Teil dieser Welt. Doch zur Wahrheit gehört auch:
Die Tiere und diese Erde brauchen uns Menschen nicht.
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