Technologie und Arbeit

Mit großer Selbstverständlichkeit filme ich am Wochenende mit der hochauflösenden Kamera meines iPhone X Szenen meines Lieblingsfußballvereins. Wenige Minuten nach dem Spiel werden sie auf der Vereinsinternetseite und bei Facebook veröffentlicht und von Freunden des Amateursports gesehen, kommentiert und geteilt. Mit ebenso großer Selbstverständlichkeit tippe ich diesen Blogeintrag auf der Tastatur eines Laptops. Ich teile Ideen rund ums Philosophieren mit Kindern, um Permation, das Bildungssystem und dutzende andere Themen, indem ich mich filme, veröffentliche und gemeinsam mit anderen Menschen Verbindungen aufbaue. Ohne Technologie, ohne Digitalisierung wäre all das nicht möglich.

Mit fast schon kindlichem Staunen beobachte ich tausend Phänomene in der Wolfsburger Wissenschaftswunderwelt Phaeno. Dokumentationen über selbstfahrende Autos, Taxidrohnen (Volocopter), Pflegeroboter, 3D-Drucker und vieles mehr, faszinieren nicht nur mich, sondern auch meine Schüler. 

Ich habe dutzende Fragen und Gedanken im Kopf, die sich um Technologisierung und Digitalisierung drehen. Und sie alle kristallisieren sich um einen uralten menschlichen Traum: Dem Leben im Paradies. Was heißt "Paradies"? Vielleicht Reichtum, Fülle, freie Zeit, Muße, Gelegenheit und Kreativität. Im antiken Griechenland wollten sich einige Menschen um harte körperliche Arbeit drücken und diesem paradiesischen Zustand näher kommen - mit einigen Erfolg. Durch das Aufbürden der Plackerei auf die Schultern von Sklaven wurde zumindest für einen kleinen Prozentsatz der Bevölkerung der Paradiestraum ein Gutteil wahr. Ähnliche Entwicklungen gibt es seit einigen Jahren (wieder) - nur unter ganz anderen Vorzeichen. Millionen Arbeiter, die einst in der Stahlindustrie, in der Automobilfertigung oder anderen Industriebereichen malochten, wurden und werden durch Roboter ersetzt. Eine Welt ohne Roboter ist aus marktwirtschaftlicher und pragmatischer Sicht schlichtweg nicht mehr vorstellbar. Sie streiken nicht, sind hocheffizient in der Ausführung der erforderlichen Arbeitsschritte, kommen ohne Lohnkosten aus und sind untereinander vernetzt. Der Roboter ist der antike Sklave. Nur, dass der Roboter keine Fragen stellt und nicht aufmuckt. 

Immer mehr menschliche Arbeit wird von Maschinen, Robotern und Technologien übernommen. Die Konsequenz daraus? Ich hoffe, dass die körperliche Arbeit mit Qualcharakter eines Tages ausstirbt. Die Chancen dafür stehen ziemlich gut. Einige Wissenschaftler sprechen gar von einem "Ende der Arbeit". Da wäre die Frage, wie man "Arbeit" definiert. Die Utopie: Eine Welt, in der Roboter den Menschen dienen wie einst die Sklaven den "Freien" im antiken Griechenland. Die freigewordene Zeit und Energie schafft paradiesische Zustände der Muße, der freien Zeit und produktiven Betätigung. Eine Welt voller Möglichkeiten der Entfaltung. Die Dystopie: Eine Welt, in der Menschen auf Konsum reduzierte Wurmfortsätze der neuen Technologiewelt werden, kontrolliert von Superstaaten, von Superunternehmen, die einen teuflischen Pakt der Massenverblödung eingegangen sind. Eine Welt voller verhinderter Möglichkeiten. Vielleicht werden wir Menschen auch eines Tages überflüssig und von Technologien und Robotern, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können, "gelöscht" oder als Haustiere gehalten. Vielleicht strebt die Evolution genau dahin, uns Menschen überflüssig zu machen. Vielleicht tanzen wir nur auf dem Seil zwischen Affe und Übermensch, wie Nietzsche sagte. Vielleicht ist der Übermensch eine Übermaschine. Vielleicht.

Ich gehe an die ganze Geschichte pragmatisch heran: Wie kann ich die Technologie möglichst pragmatisch für MICH nutzen, ohne dass ich von der Technik vereinnahmt werde? Das ist nicht leicht. Schon heute sind wir Menschen so sehr digitalisiert und technikabhängig, dass wir vor der Herausforderung als Steinzeitmenschen, eine Woche in der Wildnis überleben zu müssen, eine klägliche Figur abgeben würden. Auch das Thema der Überwachung und Staatskontrolle ist brisant. China testet ein Sozial-Kredit-System. Du startest ins Leben mit einer bestimmten Punktezahl. Wildpinkeln? Punktabzug! Die Parteizeitung lesen? Punktegutschrift! Zur Demonstration aufrufen? Ganz schlechte Idee, massiver Punktabzug! Wer zu wenig Punkte hat, darf keine Führungspositionen bekleiden und wird geächtet. Die massenhafte Videoüberwachung und Gesichtserkennung macht die Bürger Chinas (und anderer Länder) gläsern. Letztlich geht es um Kontrolle. Wer ist der Souverän? Wer ist Herr im Ring? Ich oder der Staat? Ich oder die Maschine? Ich oder das Smartphone? Alles läuft (wieder einmal) auf eine Bildungsaufgabe hinaus: Die Technologie klug zu nutzen, bevor sie uns nutzt (was jeden Tag schon passiert), ist eine Aufgabe für Schulen und Familien. Die Realität zeigt, dass Lehrer, Eltern und Großeltern darauf nicht oder nicht genug vorbereitet sind. Die Welt der heutigen Fünf- und Zehnjährigen ist eine so fundamental andere Welt als die Welt ihrer Eltern und Großeltern. Niemals in der Geschichte gab es einen ähnlichen Kulturbruch. Über die Folgen und Konsequenzen werden wir uns erst jetzt nach und nach klar. Wir müssen Gestalter werden. Oder wir werden gestaltet.

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